Esther Fischer-Homberger ist mir zuerst als Medizinhistorikerin aufgefallen, und zwar als eine enorm belesene, kluge und pfiffige. Ihre Bücher über die Hypochondrie (1970) und über die traumatische Neurose (1975) sind von unmittelbarer Bedeutung für die Ideengeschichte der Psychoanalyse. Der Aufsatz über Charcot (1971) ist das Beste, was mir zur Frage nach dem Stellenwelt der „psychischen“ Ätiologie im Werk des großen Neurologen bekannt ist. Fischer-Homberger ist eine hochpräzise Forscherin. Sie studiert die Quellen und findet neue, entdeckt Zusammenhänge und ist das Gegenteil jenes Typs von Autor, der sich darauf beschränkt, all die Geschichten noch einmal nachzuerzählen, die uns schon so oft erzählt worden sind.
Ihr neues Buch ist von einer anderen Art. Es gehört in die Reihe jener, man wird wohl sagen müssen: feministischen Publikationen, die wir von der Autorin seit etwa 1979 kennen. Zu nennen sind „Krankheit Frau“ (1975), „Medizin vor Gericht“ (1983) und, zusammen mit Marie-Luise Könneker, „Götterspeisen, Teufelsküchen“ (1990). Ich spreche von der Kategorie der feministischen Literatur mit leichter Zurückhaltung, weil aus der Wut Geschriebenes, bei aller Berechtigung der Wut, zu einer Einengung und Starre führen kann, die zu mögen viel schwesterliche Liebesanstrengung erfordert. So schwer macht es uns Fischer-Homberger Gott sei Dank nicht.
Das Buch enthält vier große Essays und eine kleine Einleitung, die den Leser mit Fischer-Hombergers Art des Denkens vertraut macht. Die Autorin vergleicht es mit einer Untersuchung der Erdkruste, deren Oberfläche von innen her und von den Kräften, die auf sie einwirken, geformt wird. Sie spricht von „Gegenden“, die „ihre Grenzen haben, wo die gewohnte Begrifflichkeit nicht greift“ und von „Brüchen“, in die „die Oberfläche abstürzt“ (S. 7). Diese Art der Beschreibung gibt wider, wie es einem bei der Lektüre von Fischer-Hombergers Buch ergehen kann. Denn immer wieder steht man wie vor dem Nichts. Was vertraut war, wird als Konstruktion entlarvt.
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